Eigentlich möchte ich hier Hilfe, Rat und Unterstützung für andere Kopfkranke wie mich anbieten…. aber andererseits wer bin ich schon, euch etwas zu raten? Schließlich springe ich selber ja auch nicht komplett gesund-geheilt glücklich über die Wiese.
Eigentlich glaube ich ja auch überhaupt nicht an die schnelle Wunderheilung durch eine einzige Maßnahme, sondern an aus mehreren Bausteinen bestehendes langfristiges Konzept…. aber wenn ich von der neuen Migräne-Impfung höre, gehen auch meine Hoffnungen sofort nach oben.
Eigentlich weiß ich aus Erfahrung, dass bis jetzt noch keine einzige Therapie, die ich selber bezahlen musste, etwas an meinen Schmerzen geändert hat… aber trotzdem ist es mir immer mal wieder das Geld wert, etwas Neues auszuprobieren.
Diese Liste könnte ich noch sehr lange fortsetzen. Es ist ein endloses Hin und Her. Warum bin ich so schnell bereit, meine Überzeugungen zu hinterfragen und sogar dagegen zu handeln? Warum ist es so schwierig bei meinem Weg zu bleiben, obwohl mir ein Blick auf meinen Kopfschmerzkalender zeigt, dass es in eine gute Richtung geht? Obwohl ich es besser wissen sollte, versuche ich immer wieder Sachen deren Erfolgsaussichten doch recht unwahrscheinlich sind.
Warum ist das so? Ist das schädlich oder doch ganz gut? Macht doch immer mal wieder Sinn die eigenen Überzeugung zu überprüfen oder?
Es ist ein schmaler Grat zwischen nötiger Akzeptanz des Zustands und Resignation. Ist es nicht wie aufgeben, wenn man aufhört nach einer Lösung zu suchen?
Denn das Leben einzurichten unter Berücksichtigung, dass man gehandicapt ist, ist eine zweischneidige Sache.
Oft ist es gut, wenn man bestimmte Sachen vermeidet, weil sie Trigger sein können und dann wird man hoffentlich mit weniger Kopfschmerzen oder Migräneanfällen belohnt. Aber eine ganz klare Rechnung ist das nicht. Manchmal kommen die Schmerzen trotzdem. Und es führt dazu, dass man sich vieles versagt und gar nicht mehr zutraut, was vielleicht doch noch möglich wäre. Außerdem ich komme mir ständig vor, wie die Prinzessin auf der Erbse, wenn Außenstehende meine Empfindlichkeiten mitbekommen. „Ich kann nicht so nah neben dir sitzen, dein Parfüm macht mir zu schaffen“– wobei so etwas denke ich nur, das traue ich mich nur in der Familie zu sagen. Aber ich kann wie Sheldon von der Big Bang Theory, die Kriterien für meinen optimalen Sitzplatz in einer Gesprächsrunde festlegen: keine direkte Sonneneinstrahlung, keine zu starke Luftströmung und besser kein unruhiger oder blendender Hintergrund (Fenster) umrahmt meinen Geprächspartner. Ich trinke keinen Alkohol, ich muss beim Essens- und Schlafrhythmus aufpassen, abends weggehen ist schwierig usw.
Da ist es tröstlich, sich mit Leidensgenossen zu umgeben, denen man nichts erklären braucht und die Verständnis haben oder eben nur mit dem allerengsten Freundeskreis und der Familie natürlich, die das Spiel schon kennen. Aber so isoliere ich mich natürlich sehr. Wieweit sollte ich meinem Mikrokosmos bleiben und wie oft traue ich mich noch in die große böse Welt?
Und noch eine ganz andere Geschichte: Eigentlich bin ich der Meinung, dass mir eine Erwerbsminderungsrente zusteht, weil ich durch meine Krankheit nicht mehr Vollzeit arbeiten kann. Ich würde es in Ordnung finden, mich für diesen Ausgleich aus dem Topf zu bedienen in den ich selber jahrelang eingezahlt habe.
Doch wenn ich einen Schritt in die Richtung machen und den Widerstand des „Systems“ zu spüren bekomme, bin ich innerlich sofort ganz klein mit Hut. Wenn z.B. mich eine Ärztin in der Reha streng anguckt und skeptisch sagt „Rente? Mit Anfang 40?“ Dabei ist es ja zu erwarten, dass der Kostenträger nicht begeistert auf meine Anfrage reagiert.
Meine Krankheit ist nicht selbstverschuldet, ich unternehme alles in meiner Macht stehende, um meinen Gesundheitszustand zu verbessern. Doch ich schaffe es einfach nicht mehr, einen Vollzeit – Arbeitsalltag zu bewältigen. Genau dafür gibt es diese Rente. Und es liegt auch in der Natur der Sache, dass das eine Art Unterstützung ist, die man nicht erst mit über 60 beantragt. Mal ganz abgesehen davon, dass wir hier nicht von ungeheuren Summen sprechen, mein Gehaltsdefizit wäre dadurch nicht annähernd ausgeglichen. Und trotz all dieser Argumente fühle ich mich so leicht verunsichert, wenn Gegenwind kommt.
Es wird einem im Umgang mit der Krankheit geraten zu lernen „Nein“ zu sagen und mit sich selbst achtsamer zu werden, die eigenen Grenzen herauszufinden. Zu sehen, was man gut schafft und wenn nötig, Einschränkungen zu zulassen. Wenn man das dann wirklich tut, wird das aber nicht automatisch belohnt und akzeptiert.
Warum kommt aus so vielen Richtungen Gegenwehr, wenn man als Kranker anfängt, sich selber (im sinnvollen Rahmen!) zu vertreten?
Das Amt oder die Krankenkasse will die Kosten für sinnvolle Behandlungen oder andere Unterstützung nicht übernehmen. Ärzte reagieren unwillig auf konsequentes Nachfragen. Ich habe schon viel Ärger gehabt, weil ich mich nicht ohne Weiteres auf jede medikamentöse Prophylaxe einlasse ( das heißt nicht, dass ich das komplett ablehne, aber das ist ein anderes Thema, schreib ich ein noch was drüber). Bekannte reagieren irritiert, wenn man von seiner Krankheit erzählt und trotzdem die Visitenkarte des „besten Akupunkteurs der Welt“ ablehnt (auch ein abendfüllendes Thema: gut gemeinte Ratschläge, darüber schreibe auf jeden Fall auch noch mal).
Weil es immer schwierig ist, wenn man nicht normal funktioniert. Wenn man nicht das macht, was die Meisten machen. Weil man anstrengend ist für den Arzt, der dank unseres Gesundheitssystems meistens nicht die Zeit für viele Fragen hat. Weil andere Menschen das auch auf sich beziehen, wenn man nicht den Mainstream Weg geht – wenn man zum Beispiel der Gesundheit und Lebensqualität zuliebe die Arbeitszeit zurückschraubt. Weil sie das vielleicht selber auch gern machen würden, sich aber nicht trauen. Oder aber vielleicht auch, weil in ihren Köpfen nur ein Weg als erstrebenswert gilt, nämlich den Fokus auf die Karriere zu setzen.
Nur wirft einen dieser Widerstand besonders leicht um, wenn man krank ist, viele Schmerzen hat und daher dünnhäutig ist. Dann, wenn man eigentlich eher Unterstützung bräuchte, um das durchzuziehen, was einem selber nicht immer leichtfällt.
Da hilft es nur sich mit Wohlwollen zu umgeben – Wohlwollen von anderen Menschen und von sich selber.
Nicht so streng zu sich selber zu sein, wenn man abtrünnig geworden ist. Nicht zu dogmatisch mit den eigenen Prinzipien umzugehen, sondern immer mal wieder Rückfragen zu erlauben.
Aber wenn es darauf ankommt, sich auf das zu besinnen wovon man überzeugt ist und was sich als bleibend richtig erwiesen hat. Und auf die Stimmen derer hören, die einen dabei unterstützen.
29. August 2018 at 16:01
Dankeschön! Das ist sehr nett von dir.
Und Rückenschmerzen zählen natürlich auch total, gar keine Frage.
Ja, das ist wichtig: lieb zu sich selbst sein (warum nur so schwierig?) und sich auf die Menschen zu besinnen,die einem gut tun. Ich hoffe, du hast oder findest ganz viele davon.
Liebe Grüsse, Nina
27. August 2018 at 22:47
Hallo Nina,
Dankeschön für diesen Artikel!
Ich bin auf deinem blog gelandet, obwohl ich chronische Rückenschmerzen habe und keine Probleme mit dem Kopf. Bin also eigentlich gar nicht “qualifiziert“. Fühle mich aber trotzdem mit euch verwandt ☺.
Dieser Beitrag hat mich besonders angesprochen, denn so geht es mir auch oft. Grübeln und immer wieder durchkauen, ob ich auch mein möglichstes tue. Auch leicht dahin gesagtes von den lieben Mitmenschen belastet mich oft. Die Schmerzen haben mich zum Sensibelchen gemacht.
Aber das mit dem Wohlwollen hat mir gut gefallen. Ich versuche ab jetzt auch, mich mehr auf die Wohlmeinenden zu konzentrieren.
Dir wünsche ich alles Gute!