Vielleicht habt ihr auch schon einmal beim Arzt gesessen, gerädert von einer schlechten Migräne-Phase, auf der Suche nach einem Medikament oder einem Verfahren, das euch endlich von der Migräne befreit?

Doch der Arzt sagt so etwas wie „Als hilfreich erwiesen hat sich das Erlernen einer Entspannungsmethode. Machen Sie zweimal täglich zwanzig Minuten die „Muskelrelaxation nach Jacobson“, das kann sich positiv auf Ihre Schmerzen auswirken.“

Und vielleicht hattet ihr dann Gedanken in der Art wie: „Kann sich positiv auf die Schmerzen auswirken? Ich brauche etwas, das auf jeden Fall hilft und zwar bald“ oder „Zwei Mal zwanzig Minuten? Ich hab‘ neben der Arbeit für nichts mehr Energie, das schaffe ich nicht“.

So ging es zumindest mir als ich das erste Mal diesen Rat bekam. Später erst bekam ich die Erklärung, warum systematische Entspannung bei Migräne so gut funktioniert und dass es sich dabei um eine Methode handelt, mit der ihr selber (und zwar so ziemlich sofort) die Häufigkeit eurer Migräne-Anfälle wirklich reduzieren könnte (und zwar auf jeden Fall).

Wie Migräne funktioniert, die Gehirnaktivitätskurve…

Glücklicherweise traf ich irgendwann auf einen Arzt, der sich die Mühe gemacht hat, mir die Mechanik bei einem Migräne-Anfall zu veranschaulichen.

Er zeichnete ein kleinen Graphen auf, der sah ungefähr so aus:

Die Idee ist, dass sich sämtliche Reize (Geräusche, Licht, Gerüche etc.) bei Menschen mit Migräne anders auswirken als bei „normalen“ Menschen.
Ein Reiz lässt die Gehirnaktivität zwar bei beiden Kandidaten gleich stark ansteigen, während aber nach dem Reiz die Kurve beim Normalo (Verzeihung) auf Null zurückfällt, landet der Migräniker eher so bei plus 10. Beim nächsten Reiz startet der normale Mensch wieder aus der Ruheposition doch der Migräniker liegt noch erhöht. In der nächste Ruhephase landet er dann bei einem noch höheren Wert. So baut sich beim Migräniker von Reiz zu Reiz eine immer höher ansteigende Gehirnaktivität auf – der Ruhezustand wird von alleine nicht mehr erreicht.
Irgendwann kommt es zu dem Punkt, wo das Niveau der Gehirnaktivität das erträgliche Maß übersteigt. Der Körper reagiert mit einer Migräne.
Sie ist quasi die Notbremse, die dafür sorgt dass das Gehirn nicht überkocht, indem sie uns zur Abschottung von allen Reizen zwingt. So reguliert sich das System selbst.

…und das Gartenfass

Das ist natürlich ein vereinfachtes Modell, bei Migräne spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Ihr könnt euch das Ganze auch als ein Gartenfass vorstellen, das zwar hauptsächlich durch Regenwasser (Reize) aufgefüllt wird, doch es fallen auch Blätter (Wetter), kleine Äste (Lebensmittel) oder Steine (Hormonschwankungen) hinein.
Ihr könnt nicht alles, was es füllt, beeinflussen. Doch an einigen Faktoren könnt ihr schon etwas drehen und dafür sorgen, dass das Fass nicht so schnell überläuft.

Ich wünschte, jemand hätte sich schon viel früher die Mühe gemacht, mir das so zu erklären. Denn für mich hat es einen großen Unterschied gemacht, diesen Hintergrund zu verstehen. Mit welchem Bild auch immer der Arzt es schafft, das zu erläutern, kann ja ganz verschieden sein. Wichtig ist, dass wir die Mechanik hinter unser Krankheit kennen, damit wir selber besser dagegen angehen können.

Das war dann auch die auslösende Geschichte, die mich auf die Idee brachte, einen Blog zum Thema Kopfschmerzen und Migräne zu schreiben. Denn ich bin in meiner ganzen Schmerz-Laufbahn nur zwei Ärzten begegnet, die das richtige Wissen hatten und es auch entsprechend vermitteln konnten (und ich war bei vielen Ärzten) und das waren genau die beiden, die mich damit so viel weiter gebracht haben. Die Meisten beschränken sich leider doch darauf, den Ratschlag zu geben, der den kleinsten gemeinsamen Nenner trifft, ohne die nötige Erklärung dazu.
Also habe mich quasi in der Pflicht gesehen, zum Beispiel diese Sache mit der Kurve an andere Migräniker weiterzugeben, die alle sagten, dass ihnen das gut geholfen hätte, sich selber eine Strategie für die Besserung ihre Migräne zurechtzulegen. Und da gibt es natürlich noch ein zwei andere Themen, von denen es gut wäre, wenn sie unter den Kopfschmerz und Migräne Leuten besser bekannt wären. Doch ich schweife ab…

Wie Entspannungstechniken die Migräne aufhalten können

Zurück zu unserem kleinen Graphen: Unser Ziel muss nun logischerweise sein, die Gehirnaktivität nicht ins kritische Niveau steigen zu lassen. Systematische Entspannung ist das wirksamste Mittel, um die Kurve wieder nach unten zu bringen. So könnt ihr die zeitlichen Abstände zwischen den Migräne – Attacken verlängern und damit im Endeffekt immer seltener Migräne haben.

Auch wichtig ist, eine Migräne nach Möglichkeit auszukurieren, also sich wirklich ins Dunkle zu legen und auszuruhen. Wenn ihr sie mit Tabletten wegdrückt und dann mit Volldampf weitermacht, kommt die nächste Attacke nur umso schneller. Denn die Gehirnaktivitätskurve wird durch das Schmerzmittel nicht gesenkt, das behandelt nur die daraus resultierende Migräne.

Welche Art der Entspannung hilft ?
Es gibt systematische und unsystematische Entspannung. Systematische Entspannung ist das, was wir durch Entspannungsmethoden wie zum Beispiel autogenes Training erreichen und für unsere Zwecke benötigen. Unsystematische Entspannung passiert beim Lesen, Spazierengehen oder Auf-dem-Sofa-liegen. Das ist auch eine feine Sache, reicht aber in unserem Fall leider nicht aus.

Muss es immer Jacobson sein?

Bei Kopfschmerzen und Migräne wird immer zuerst die „Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson“ empfohlen. Der Grund ist, dass diese Entspannungstechnik leicht zu erlernen ist und auch von denen angewendet werden kann, die Schwierigkeiten mit der Körperwahrnehmung haben oder sich nicht so gut bei abstrakteren Geschichten einfinden können. Aber es gibt natürlich noch andere Methoden wie autogenes Training, Meditation, Traumreisen oder Aktiveres wie Yoga, Qui Gong oder Tai Chi.

Glücklicherweise gibt es online so viele tolle Videos und Podcasts mit Anleitung zu verschiedenen Entspannungsmethoden, so dass ihr bestimmt etwas Schönes für euch finden werdet.

Woher weiß ich, welche Methode für mich die richtige ist?
Stellt euch folgenden Fragen: Macht es mir Spaß? Kann ich die erforderliche Zeit in meinem Alltag regelmäßig unterbringen? Liegt mir die Methode / bekomme ich sie gut hin? Und im Idealfall: Kann ich die Methode überall durchführen?

Wichtig ist, dass ihr möglichst gut wirklich in die Entspannung kommt. Wenn Ihr euch darüber unsicher seid, könnt ihr zum Biofeedback (zahlt die Krankenkasse als Ergotherapie) gehen. Mit diesem Verfahren wird die Anspannung im Körper gemessen und ihr könnt so herausfinden, welche Methode bei euch am effektivsten ist.

Bei mir ist dadurch ein alltagstaugliches Kurzprogramm herausgekommen: ich mache Atemübungen vom Yoga (so fünf bis zehn Minuten, manchmal nur ein paar Atemzüge), dadurch komme ich am Sichersten in die Entspannung. Und sie sind praktisch, denn ich kann sie jederzeit, überall und auch kurz mal zwischendurch anwenden. Zusätzlich mache ich Autogenes Training. Das schaffe ich so zweimal die Woche, während die Atemübungen meine tägliche Pflicht sind.

So komme ich meist ganz gut zurecht.
Es ist auf jeden Fall toll zu merken, wie man seine Krankheit aus eigener Kraft verbessern kann.

Also meine Nachricht an euch: Entspannungstechniken sind etwas ganz Handfestes. Ihr könnt damit die Anzahl Eurer Migränetage deutlich reduzieren, so wirksam wie mit einem Medikament, auf Dauer vielleicht sogar besser – und das Ganze ohne Nebenwirkungen und unangenehme Langzeitfolgen.