Ich lese grundsätzlich sehr gerne Biographien und Erfahrungen von anderen Menschen. Besonders wenn Leute wirklich auspacken und sich trauen, sehr Persönliches zu erzählen.
„Der Schmerz ist die Krankheit“ ist ein Erfahrungsbericht von Birgit Schmitz, in dem sie von ihrem Leben mit chronischen Kopfschmerzen infolge einer Hirnoperation berichtet.
Zum Hintergrund der Autorin: Birgit Schmitz studierte Geschichte, Germanistik und Soziologie und arbeitet schon lange im Verlagswesen. Erst war sie Lektorin, mittlerweile leitet sie den Verlag Hoffman und Campe. Außerdem schreibt sie für Zeitungen, Zeitschriften und Blogs. Wenn ihr einen Vorgeschmack auf ihr Buch bekommen wollt, könnt ihr mal auf den Seiten der „M-Sense“ App für Migräne und Kopfschmerzen stöbern, dort findet ihr Beiträge von ihr zum Thema Schmerz unter Birgits Blog.
Eins vorweg: Eine solche Kombination werdet ihr wahrscheinlich nicht so schnell wieder finden. Erstmal einen Erfahrungsbericht über eine chronische Kopfschmerz-Erkrankung direkt von der Betroffenen, die für sich einen guten Weg gefunden hat – mit vielen Anregungen und Hilfestellungen für andere Schmerzkranke. Und zusätzlich eine Autorin die durch ihren beruflichen Hintergrund weiß, wie man ein Buch trotz des schwierigen Themas unterhaltsam und spannend schreibt.
Zum Inhalt: Vor einigen Jahren musste sich Birgit Schmitz einem operativen Verfahren unterziehen, bei dem eine Fistel in der Hirnhaut geschlossen wurde. Es braucht zwar mehrere Anläufe, aber im Endeffekt ist die Behandlung erfolgreich. Zahlreiche andere vorübergehende Nachwirkungen führen dazu, dass sie die Gesichts- und und Kopfschmerzen, die sich nach der OP einstellen auch als temporäre Erscheinung einstuft, die sie als Folge der Operation aushalten muss. Sie entscheidet sich deswegen gegen eine ausführliche Einnahme von Schmerzmitteln. Doch als die körperlichen Ursachen nicht mehr vorhanden sein sollten, also die Wunden der OPs verheilt sind, bleibt der Schmerz bestehen; er ist chronisch geworden. Eine Tatsache, die Birgit Schmitz erstmal zu ignorieren versucht, weil sie entschlossen ist, ihr normales Leben von vorher wieder aufzunehmen. Bis die Schmerzen zu stark werden.
Dann geht bei ihr der Weg los, den viele von uns gut kennen. Denn auch wenn die Kopfschmerzen ursprünglich Folge der OP waren, fallen sie jetzt in die Kategorie Spannungskopfschmerzen. Das heißt, die Autorin wird mit den gleichen unerfreulichen Geschichten konfrontiert, wie viele andere Patienten auch, die an Spannungskopfschmerzen leiden, ohne dass es jemals einen konkreten Auslöser gegeben hat. Ich denke jeder, der mit Kopfschmerzen ein bisschen mehr zu tun hat, wird sich in ihren Erzählungen wiederfinden. Wie es ist, wenn man von Schmerzen geplagt beim zehnten Arzt sitzt, immer wieder die Art der Schmerzen zu beschreiben versucht und sich vor einer ablehnenden Reaktion fürchtet. Wenn man glaubt, dass man selber ein ganz spezielle, seltene Erkrankung hat, die die Ursache für die Kopfschmerzen ist, wenn man sie denn nur herausfinden würde. Wenn man das Gefühl hat, etwas nicht oder nicht richtig erklärt zu bekommen und deswegen Behandlungen zustimmt, die in die falsche Richtung gehen. Wenn man versucht, der folgsame Bilderbuchpatient zu sein und alles fleißig richtig zu machen und dann die Enttäuschung, wenn sich nicht der erhoffte Erfolg einstellt. Mir ging es auf jeden Fall so, dass ich mich sehr oft in ihrem Bericht selber wieder erkannt habe. Nur könnte ich die entsprechenden Gelegenheiten nicht so gut in Worte fassen und habe auch selber nicht so schnell geschafft, das Ruder herumzureißen.
Denn Birgit Schmitz findet recht schnell, den für sie richtigen Arzt und für sich eine funktionierende Strategie, mit ihren Kopfschmerzen besser zurecht zu kommen. Auch wenn ihr das selber bestimmt nicht so vorgekommen sein mag. Denn das ist das Problem bei der Behandlung von chronischen Schmerzen, es gibt keinen schnellen Ausweg. Die Autorin beschreibt, wie sie dennoch einen Weg findet, der zwar anders aussieht, als anfangs erhofft, aber dennoch letztendlich zu einem guten Ausgang führt. Diesen Teil will ich nicht zu ausführlich beschreiben. Das solltet ihr euch am besten selber durchlesen.
Birgit Schmitz sagt, sie wollte das Buch schreiben, dass jemandem wie ihr wirklich geholfen hätte – Menschen mit Spannungskopfschmerzen oder neuropathischen Schmerzen und zwar nicht nur wenn sie schon chronisch sind. Ich finde, das hat sie geschafft. Wenn es gut läuft, könnte diese Lektüre sogar verhindern, dass sich bei einigen der Schmerz überhaupt erst chronifiziert.
Was ich an dem Buch mag: Die Autorin ist schlau und geht das Ganze trotz des hohen Leidensdrucks recht sachlich an. Das finde ich hilfreich, wenn man sich selber Lösungsansätze von diesem Buch erhofft und nicht „nur“ einen Erfahrungsbericht lesen möchte. Sie beschreibt nicht nur ihren Weg, sondern reflektiert immer wieder, was schief oder gut gelaufen ist, was ihr geholfen hat, was eher schädlich war und gibt damit klare Empfehlungen. Sie hat offensichtlich viel recherchiert und auch viel Theoretisches zum Thema Schmerzen herausgefunden, was sie gut verständlich weitergibt. Ich recherchiere selber auch immer wieder zu diesem Thema und bin froh, wenn mir da jemand Arbeit abnimmt. Wem das zu ausführlich ist, der kann die entsprechenden Teile einfach überspringen und wird trotzdem genug pragmatische Hilfestellung in dem Buch finden.
Was mir bei dem Buch ein ganz bisschen fehlt: die Autorin war mir beim Lesen sehr sympatisch, deswegen hätte ich gerne etwas mehr über ihre Gefühlswelt gelesen. Besonders wenn sie von Ereignissen berichtet, die ich selber so gut kenne, frustrierende Arztbesuche, Panik im Urlaub, Konfrontation mit den gut gemeinten Ratschlägen der anderen, hätte ich gerne gewusst, wie es ihr dabei wirklich ging. Sie hat auch einen sehr unterstützenden Partner, was macht das mit den beiden, wenn einer so schwer gesundheitlich belastet ist? Sie ist beruflich erfolgreich, wie fühlte sie sich in den schlechten Phasen und folgender geminderte Leistungsfähigkeit auf der Arbeit?
Wahrscheinlich hat sie sich bewusst dagegen entschieden, sich da allzu sehr auszulassen, eben weil sie alles so pragmatisch angeht und nicht zu viel Privates rausgeben möchte. Was ich auch verstehen kann. Mein indiskretes Herz hätte trotzdem gern mehr erfahren. Aber das ist nur Meckern auf Luxusniveau.
Auf jeden Fall kann ich das Buch allen empfehlen, die mit Kopfschmerzen zu kämpfen haben, ob episodisch oder chronisch. Es richtet sich natürlich in erster Linie an Menschen mit Spannungskopfschmerzen, aber auch Migräniker und Patienten mit neuropathischen Gesichtsschmerzen werden hier sicherlich Wissenswertes finden.
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