Haltet Ihr auch eure Migräne auf der Arbeit geheim? Wissen eure Freunde und Bekannte darüber bescheid, wie stark ihr durch euer Kopfschmerzen wirklich eingeschränkt seid?
Viele Betroffene sprechen nicht über das Ausmaß ihrer Schmerzen. Nachvollziehbare Bedenken führen dazu, dass man das Gefühl hat, nicht offen darüber reden zu können. Man möchte nicht den Krankheitsstempel aufgedrückt bekommen, nicht die Karriere oder die berufliche Existenz gefährden, nicht jemand sein, der nicht so funktioniert wie alle anderen. Für Männer ist es oft nochmal anders schwierig, vermeintliche Schwäche zu zeigen.

Ich kann das alles gut verstehen. Ich möchte euch aber trotzdem Mut machen, anderen von eurer Erkrankung zu erzählen, denn es gibt gute Gründe dafür, mit offenen Karten zu spielen.

Unterstützung auf der Arbeit

Es ist kein Zeichen von Schwächen, nach Hilfe zu fragen. Ihr habt vielleicht schon eine Vermutung, inwiefern ihr auf Unterstützung von euren Kollegen hoffen könnt, aber unter Umständen werdet ihr positiv überrascht sein. Traut euch ruhig zu sagen, wie es um eure Gesundheit bestellt ist. Redet mit eurem Vorgesetzten, Kollegen, dem Betriebsarzt oder dem Betriebsrat, wo auch immer ihr euch Hilfe erhoffen könnt.

Das heißt nicht, dass Ihr deswegen gleich euer Ansehen verliert. Viele Menschen bekommen im Lauf des Lebens gesundheitliche Probleme. Der Kollege mit dem Bandscheibenvorfall verheimlicht das ja auch nicht und profitiert vielleicht vom Betriebssport oder einem speziellen Sitzmöbel.
Für euch gibt es auch Möglichkeiten: man kann den Arbeitsplatz umgestalten (Computer Monitor anders positionieren zum Beispiel), bei Migräne die Schicht wechseln oder aus dem Schichtdienst rauskommen, weniger Dienstreisen absolvieren, Homeoffice Tage bekommen…irgendwas geht immer. Der Betriebsarzt (wenn ihr einen habt) hat eventuell Ideen, was euch die Arbeitssituation erleichtern könnte. Vielleicht habt ihr ja auch schon selber eine Vorstellung, was euch helfen könnte.

Man kann natürlich immer sagen „In meinem Job geht das nicht anders, wenn ich das Spiel nicht mitspiele, kann ich nicht mithalten. Dann bekomme ich die Beförderung nicht, lästern die Kollegen über mich, werde ich sonst entlassen.“ Das sind alles berechtigte Argumente. Und so lange Triptane und Kopfschmerztabletten noch gut wirken, kann man das bestimmt so durchziehen.
Aber… und ich mag ja nicht so gern die Angst-Keule herausholen… man muss auch realistisch bleiben: Migräne und Kopfschmerzen werden bei den Meisten im Laufe der Zeit leider eher schlimmer als besser – zumindest wenn man sich nicht drum kümmert. Dann lässt irgendwann die Arbeitsleistung nach und es wird ohnehin offensichtlich. Vielleicht könnt ihr dann bestimmte Tätigkeiten gar nicht mehr ausführen. Solange muss man ja nicht unbedingt warten.

Außerdem stellt sich für mich auch immer die Frage nach der sogenannten Lebensqualität. Kann ich glücklich werden mit einer Arbeit, die meine Erkrankung nicht berücksichtigt und damit wahrscheinlich auch verschlimmert? Möchte ich wirklich so leben? Hab ich wirklich keine Wahl oder glaube ich das nur?
Ich finde, es lohnt sich auf jeden Fall, darüber ein bisschen nachzudenken.

Wenn euch in erster Linie euer Pflichtbewusstsein umtreibt, macht euch klar, dass niemandem damit geholfen ist, wenn ihr irgendwann gar nicht mehr könnt, weil ihr vorher nicht rechtzeitig die Reißleine gezogen habt. Hilft das eurem Arbeitgeber oder euren Kollegen wirklich, wenn ihr euch nur halbfit oder schlimmer auf die Arbeit schleppt?

Es wird nur kurz wehtun

Erstmal ist es komisch zu sagen „Ich habe chronische Kopfschmerzen und bin deswegen nicht immer so fit“, aber schnell haben sich alle schon wieder daran gewöhnt. Ich habe insgesamt mehr positive Erfahrungen gemacht als negative. Oder besser gelernt, die unschönen Seiten auszublenden, könnte auch sein.
Mir geht es auf jeden Fall damit besser als früher. Nicht weil ich jetzt weniger Kopfschmerzen oder Migräne hätte, sondern weil ich nicht mehr so unter Druck stehe, alles so hinbekommen zu müssen, als ob ich die Schmerzen nicht hätte.

Ich muss ehrlich sagen, dass ich anfangs auf der Arbeit dazu gezwungen gewesen bin, mich mit den Kopfschmerzen auseinanderzusetzen. Einem aufmerksamen Kollegen ist es fast früher aufgefallen als mir selbst, dass ich besonders nachmittags immer öfter nicht mehr so fit war. Er hat mich direkt darauf angesprochen, wofür ich ihm heute noch dankbar bin – weil er es auch so nett gemacht hat.
Nachdem ich später ein paar Wochen in der Schmerzklinik verbracht hatte, haben es viele andere Kollegen ohnehin mitbekommen und den restlichen habe ich es einfach erzählt. Vielleicht auch, weil ich erst in der Klinik so richtig begriffen habe, dass ich jetzt eine Erkrankung hatte, die nicht in absehbarer Zeit verschwinden wird und ich mich dementsprechend einrichten muss.

Da ich zeitgleich meine Tochter bekommen habe, habe ich dann eine Auszeit genommen und danach erstmal in Teilzeit gearbeitet. Das war eine erholsame Zeit, weil sich für eine zeitlang mein Fokus von der Arbeit in Richtung Familie verschoben hat und das habe ich sehr genossen.
Als meine Tochter älter wurde und durch die Betreuungssituation wieder mehr Arbeitsstunden drin gewesen wären, wurde mir klar, dass ein Aufstocken der Stunden mit meinem Kopf nicht hinhauen würden. Also musste ich mir wieder ein Herz nehmen und das Gespräch mit meinem Vorgesetzten suchen. Da war ich aber schon abgeklärter und habe ganz deutlich gesagt: „Pass auf, bestimmte Sachen kann ich leider nicht mehr, gibt es hier für mich noch einen Platz und wie kann der aussehen?“ Daraufhin haben wir entschieden, Dienstreisen und extrem zeitkritische Projekte für mich nach Möglichkeit auszuklammern und zusätzliche Home-Office Zeit einzurichten.
Es war natürlich toll, dass es dieses Entgegenkommen bei meinem Vorgesetzten gab und insgesamt alle Kollegen sich einfach sehr viel Mühe gegeben haben. Mir ist klar, dass das nicht für jeden so einfach ist. Aber ich denke, es lohnt sich immer, auszuloten was möglich ist.

Und ich fand es immer wichtig, dass alle wussten, warum ich bestimmte Sachen nicht leisten konnte, allein schon um Irritationen zu vermeiden. Ich hatte trotzdem sehr oft ein schlechtes Gewissen, jedes Mal wenn ich ausgefallen bin und ein Kollege mein Arbeit übernehmen musste. Wahrscheinlich hat auch der ein oder andere mal meinetwegen geseufzt, das wäre verständlich. Aber genau deswegen habe ich versucht, offen zu sein, damit sich diese Situationen im Rahmen halten.

Privat habe ich ganz früh entschieden, es den Leuten, bei der erstmöglichen Gelegenheit zu sagen – allein schon damit sich niemand vor den Kopf gestoßen fühlt, wenn ich öfter eine Verabredung absagen muss, als es mir lieb ist. Gute Freunde verstehen das, aber gute Freunde sollten auch den wirklichen Grund kennen – und gute Bekannte auch.
Besonders während der Kindergarten- und Grundschulzeit meiner Tochter musste ich bei den anderen Müttern klar sagen, woran sie bei mir sind. Ich habe gerne spontan andere Kinder mitbekümmert, immer wenn ich konnte. Aber verlässlich Betreuung länger im Voraus anbieten, konnte ich leider nicht. Tatsächlich war ich sogar öfter auf die Hilfe von anderen angewiesen, wenn ich plötzlich ausgefallen bin. Es war für meine Tochter wichtig, dass wir offene und enge Verbindung zu den Eltern ihrer Freunde hatten, die sie dann gerne mitgenommen haben, wenn ich nicht konnte. Und ich habe mich bemüht, in meinen guten Zeiten für Ausgleich zu sorgen. Auch da war ein offenes Wort hilfreich „bitte lasst mich die Sachen übernehmen, die mir leicht fallen und ich gut leisten kann. Dann muss ich nicht so viel schlechtes Gewissen haben, wenn ihr mir später helfen müsst.“

Bei Kindern fällt mir übrigens gleich der nächste Punkt ein, warum es sich lohnt, als „Kopfkranker“ sichtbar und damit auch zählbar zu sein.

Denkt an eure Kinder

Migräne hat eine genetische Disposition. Ist leider nicht so unwahrscheinlich, dass eure Kinder das von euch erben. Bei Kopfschmerzen gibt es ohnehin schon die Entwicklung, dass immer mehr Kinder immer früher darunter leiden. Da wäre es doch schön, wenn es bald mehr Spezialisten und neue Behandlungsmethoden gäbe.
Aber so etwas kommt nicht von allein. Betroffene werden erst dann annähernd adäquate Behandlung bekommen, wenn die Notwendigkeit gesehen wird.

Migräne und Kopfschmerz-Behandlung muss finanziert werden

Diesen Beitrag wollte ich eigentlich schon ganz lange schreiben, aber kürzlich ist mir im Zusammenhang meiner Recherche für den Artikel über das neue Migräne-Prophylaxe Medikament Aimovig nochmal die Wichtigkeit bewusst geworden – denn ich hörte folgenden Satz: „Die Krankenkassen sagen „Wir haben mit Migränikern überhaupt kein Problem. Die kosten uns nichts“. “
Migräniker lassen sich nicht krankschreiben. Sie schleppen sich mit starken Schmerzen oder noch halb duselig vom Triptan trotzdem zur Arbeit, weil sie sich nicht trauen, öfter auszufallen. Die Kosten die dadurch entstehen, dass ihre Leistungsfähigkeit durch die Erkrankung eingeschränkt ist, werden nicht gemessen.
Viele Behandlungen, die im Zusammenhang mit Migräne stehen werden nicht darunter verbucht. Ein praktischer Grund: für Behandlungen fehlt der Abrechnungsschlüssel auf dem Rezept, um sie für Migräne abzurechnen. Viele Migräniker betreiben Selbst-Medikation und holen sich nicht-verschreibungspflichtige Schmerzmittel und Triptane aus der Apotheke und bezahlen sie natürlich auch selbst. Sie nehmen keine Kosten für Kinderbetreuung oder Haushaltshilfe in Anspruch, wie das andere, die gesundheitlich im Alltag ähnlich stark eingeschränkt sind, vielleicht tun.
Kurzum: Sie tauchen in der Kostenbilanz als Negativposten kaum auf. Für andere Arten von Kopfschmerzen ist das wahrscheinlich noch diffuser.

Notwendigkeit zur Erstattung von Kosten für Medikamente und Behandlung wird aber nur gesehen, wenn auch wirtschaftlicher Schaden durch eine Erkrankung entsteht. Sicher möchtet ihr gerne das vielversprechende neue Migräne-Medikament ausprobieren, aber die Krankenkasse wird es nicht bezahlen, weil es teuer ist und dem keine Kostenersparnis gegenüber steht. Also, wenn wir Behandlung bezahlt haben möchten, müssen wir als Kopfschmerz- oder Migräne-Patient in Erscheinung treten und dürfen uns nicht verstecken.
Wir haben da eine Verantwortung – nicht nur uns gegenüber, sondern auch für unsere Leidensgenossen und die, die noch kommen werden. Ich finde man muss auch immer ein bisschen für die mitkämpfen, um die es vielleicht noch schlechter bestellt ist.

Jetzt habe ich schlimm gepredigt, ich weiß. Aber ich möchte mit einem positiven Ausblick enden: denn es sollte keine unangenehme Pflicht sein, zu seiner Erkrankung zu stehen. Ich finde sogar man profitiert mehr davon, als es einem schadet. Für mich war es tatsächlich eine Erleichterung und eine Bereicherung.

Jeder hat sein Päckchen

Eigentlich hat so ziemlich jeder Mensch irgendwann eine Einschränkung im Leben, ob es nun eine körperliche Beeinträchtigung ist oder eine seelische. Sobald jemand sich traut, sein Problem auszupacken, fühlen sich auch die anderen sicher, von ihren Sorgen zu berichten. Ich habe das mehrfach erlebt, das jemand regelrecht erleichtert war, wenn er gemerkt hat,  ich zeige mich verletzlich und er darf das mir gegenüber auch tun. Da kommen viele verbindende Gespräche dabei heraus.

Viel mehr Menschen als man denkt, haben Verständnis und wünschen sich das auch für sich. Und mit den anderen sollte man sich aus vielerlei Gründen vielleicht gar nicht so viel umgeben.
Ich habe durch den offenen Umgang mit meiner Kopfsache auf jeden Fall mehr gute Freundschaften gewonnen, als verloren und viele schöne und „echte“ Momente gehabt. Und genau das hilft in den Zeiten, wo es einem nicht so gut geht.