Mein spezieller Freund der Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz, kurz MÜK.
Hört sich niedlich an. Ist aber eine ganz schlimme Geschichte.
Es ist nämlich so, dass Schmerzmittel bei zu häufiger Einnahme selber Kopfschmerzen auslösen. Man nennt das auch medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz, da man hieran nahezu permanent seine Freude hat.

Eigentlich könnte man diesem Thema einen eigenen Blog widmen – so vielfältig und unterschätzt ist es meiner Meinung nach.

Rückblickend kann ich jetzt mit einiger Sicherheit sagen, habe ich mindestens drei Jahre am Stück an MÜK von Mitteln gegen Kopfschmerzen gelitten, ohne eine Ahnung zu haben, dass dieses Krankheitsbild überhaupt existiert. Dieser Schmerz war fieser als der ursprüngliche, den ich mit den Tabletten ausschalten wollte und fast immer da dazu. Später, als ich es eigentlich schon hätte besser wissen müssen, ist mir das gleiche nochmal mit Triptanen passiert. Es hat auch leider ziemlich lange gedauert, bis ich den Triptan Übergebrauchskopfschmerz als solchen erkannt habe, weil er vom Charakter her ganz anders war, als der MÜK von Kopfschmerzmitteln. Der MÜK von Kopfschmerzmitteln fühlte sich eher nach Kopfschmerzen vom Spannungstyp an; der MÜK von Triptanen löste eher migräneartige Schmerzen aus.

Im Prinzip kann jedes Medikament, dass bei Kopfschmerzen und Migräne im Akut-Fall hilfreich ist, bei falscher Einnahme selber wieder Schmerzen erzeugen. Besonders gefährlich sind aber die beliebten Kombinationspräparate, also zum Beispiel Aspirin- und Paracetamolartiges in einer Tablette, vielleicht noch mit Koffein dazu oder was auch immer es da alles gibt. Der Patient hat den Eindruck, dass bei diesen Präparaten die Wirksamkeit besonders hoch und schnell ist, obwohl das erwiesenermaßen nicht der Fall ist. Das, was diese Mittel besser können als ein Mono-Päparat ist, einen Dauerkopfschmerz auszulösen. Ich habe damals auch immer gern eine bestimmte Sorte von Kombi-Tablette genommen und davon ganz schnell einen MÜK bekommen.

Es wird vermutet, das ungefähr 70% der Patienten, die regelmässig Kopfschmerzen oder Migräne haben, auch zusätzlich medikamenteninduzierte Kopfschmerzen haben. Ich würde Haus und Hof darauf verwetten, dass diese Zahl noch höher ist. Meine Beobachtung ist, dass nahezu alle meine Mitpatienten, die in der Schmerzklink und der Rehaklinik behandelt wurden, zuerst eine Medikamentenpause machen mussten, um ihren Übergebrauchskopfschmerz loszuwerden. Bei vielen trat dann ziemlich schnell eine Besserung ihrer Symptome auf.

Die Spezialisten sagen dazu Folgendes: Schmerzmittel dürfen nicht an mehr als 10 Tagen im Monat eingenommen und nicht mehr als 3 Tage am Stück hintereinander. Die Menge der Kopfschmerzmittel an den Einnahmetagen ist zumindest für den MÜK nicht ausschlaggebend. Das heißt, es muss auf jeden Fall 20 schmerzmittelfreie Tage pro Monat geben, aber für die MÜK Vermeidung spielt es keine Rolle, ob ihr an den anderen Tagen eine Tablette einnehmt oder zwanzig (für eure Leber/Nieren wahrscheinlich schon).

Ich persönlich sehe diese 10/20 Regel für mich als absolute Obergrenze an. Meine Erfahrung sagt mir aber, dass bei mir schon viel schneller MÜK Symptome auftreten. Das ist insofern problematisch, weil ich dadurch dann gern mal unnötig Medikamente einnehme und in einen Kreislauf gerate, der meinen Gesamtzustand schnell verschlechtert.

Im Prinzip läuft es bei mir so ab: Zwei Migräneattacken treten kurz hintereinander auf, sagen wir mal zwei Stück innerhalb von einer Woche. Ich nehme beide Male meine maximale Dosis an Medikamenten ein, weil ich mich nicht hinlegen kann (zum Beispiel auf Reisen), also ein Triptan, ein Analgetikum zum Verlängern der Wirkung und etwas gegen die Übelkeit. Das hat meistens zu Folge, dass zwei drei Tage nach der zweiten Attacke wieder migräneartige Kopfschmerzen auftreten. Meistens handelt es sich dabei schon um leichten Triptan MÜK, was daran zu erkennen ist, dass die Schmerzen nicht auf ein weiteres Triptan ansprechen, also nicht mehr sofort oder gar nicht weggehen. Es hätte allerdings auch eine echte Migräne sein können, wo es wichtig ist, rechtzeitig, das Triptan zu nehmen, damit es wirkt; nur weiss ich leider erst, wenn ich es ausprobiert habe. Spätestens nach dem dritten Triptan geht es mir insgesamt überhaupt nicht mehr gut. Ich habe noch stärkeren MÜK, seit Tagen keinen Sport machen können, viel zu viele Süßigkeiten gegessen (Migräne-Heißhunger, dabei ist zuviel Zucker für mich ein Trigger) und zum dritten Mal etwas gegen Übelkeit nehmen müssen, was dann auch wieder Übelkeit auslöst.

Mir geht es am besten, wenn ich es schaffe nur ein bis zwei Mal pro Monat ein Triptan zu nehmen. Schmerzmittel gegen Kopfschmerzen vom Spannungstyp versuche ich komplett zu vermeiden und nehme stattdessen Pfefferminzöl.
Das erfordert natürlich, dass die Begleitumstände möglichst optimal sind: gleichmäßiger Lebensrhythmus, Sport, gute Ernährung, guter Schlaf und so weiter, was natürlich öfter mal nicht möglich ist. Es ist schwierig die Balance zuhalten und gelingt mir öfter auch mal nicht.
Trotzdem fahre insgesamt ich am besten, wenn ich so selten wie möglich Akutmedikation einnehme.

Wie erkenne ich, ob ich an MÜK leide?

Zum Einen erkennt ihr das, wenn ihr eure Schmerztage und die Tage an denen ihr Medikamente einnehmt protokolliert. Wenn ihr regelmässig an mehr als zehn Tagen pro Monat Schmerzmittel eingenommen habt, ist es sehr wahrscheinlich, dass ihr einen Übergebrauchskopfschmerz habt. Das kann sehr schnell passieren und ist keine Schande. Wie gesagt, ihr habt viele Leidensgenossen.

Allgemein ist für den MÜK ist typisch, dass er irgendwie diffus ist und sich in die Kategorien für Kopfschmerzen vom Spannungstyp und Migräne nicht mehr einordnen lässt. Ein Zeichen könnte auch sein, dass man plötzlich überhaupt keine Schmerzpausen mehr hat.
Für meinen MÜK ist kennzeichnend, dass er sich irgendwie zwickend anfühlt und im Laufe des Tages schlimmer wird. So fühlt sich zumindest der MÜK von Kopfschmerzmitteln an. Der MÜK von Triptanen lösst streng einseitige Schmerzen aus, allerdings kann im Lauf des Tages die Seite wechseln. Meist kommt auch noch ein Schmerz im Nacken dazu. Bei beiden Sorten habe ich gerne mal zusätzlich Halsschmerzen und die Zähne fühlen sich gereizt an. Was mich auch immer durcheinander gebracht hat, war, dass der MÜK in Wellen kommt. Oft tritt er zwei-drei Tage nachdem ich ein Schmerzmittel eingenommen habe auf, ist dann ziemlich heftig für einen Tag, etwas weniger schlimm am nächsten Tag und hört dann komplett auf – aber nur für ein paar Tage, um dann nach einer Woche wieder total heftig zurückzukommen. Das hat mich schon oft hinters Licht geführt. Man denkt, man hätte es eigentlich schon hinter sich und dann kommt der MÜK wieder. Fatal ist, dass er gerne auch mal noch schlimmer ist, als die bei der ersten Runde.

Da ich immer ziemlich schnell in den MÜK gerate und mir die 10/20 Regel nicht eindeutig genug Hinweise liefert, muss ich immer sehr genau aufpassen. Ein ziemlich klares Zeichen ist allerdings, wenn ich eine Schmerztablette nehme und sie gar nicht oder nur ganz kurz (maximal 30 Mintuten) wirkt.

Ich frage mich oft, wieso das so ist mit diesen medikamenteninduzierten Kopfschmerzen, bei mir und bei vielen anderen. Ich bin kein leichtfertiger Mensch und nehme nicht bei jeder Kleinigkeit eine Tablette. Wie sicher viele andere von Euch auch, versuche ich gesund zu leben und keine unnötigen Medikamente einzunehmen. Wie also kann es so schnell so weit kommen?
Ich denke ein Problem ist, dass man den Wunsch hat, leistungsfähig zu bleiben. Und nicht immer hat man die Gelegenheit, den ausführlichen Weg zu gehen, um die Schmerzen zu lindern. Ruhe, Bewegung, Entspannung, sich zurückziehen – das lässt sich im normalen Alltag einfach nicht immer unterbringen. Man möchte nicht als Kranker ausfallen, besonders nicht öfter. Also nimmt man eine Tablette.

Zum anderen kann man sich nicht vorstellen, dass ein Medikament solche dauerhaften und auch starke Schmerzen auslösen kann. Ich konnte es zumindest nicht, bis ich es auf die harte Tour gelernt habe. Als mich das erste Mal ein Schmerztherapeut vorsichtig auf das Thema ansprach, habe ich diese Möglichkeit sofort ausgeschlossen. Meine Schmerzen fühlten sich zu stark an, um „unecht“ zu sein. Das Problem war besonders, dass er den Konjunktiv verwendet hat. Er sagte: „Wissen Sie, dass Medikamente auch Kopfschmerzen auslösen können?“, ich hätte damals aber schon mindestens einen Vorschlaghammer gebraucht, um die Tatsache annehmen zu können: “ Sie haben zu oft Medikamente genommen und haben jetzt einen Übergebrauchskopfschmerz. Den müssen wir zuerst loswerden, bevor anderen Maßnahmen gegen den Ursürungskopfschmerz Wirkung zeigen können!“, das hätte er mir mehrfach sagen müssen.

Die dafür ursächlichen Medikament haben heute auf der Packungsbeilage immerhin den Hinweis „kann bei Übergebrauch Kopfschmerzen auslösen“. Vor zehn Jahren stand es meiner Meinung nach noch gar nicht drauf.
Ich würde da allerdings lieber lesen „wird bei Übergebrauch Kopfschmerzen auslösen“ – denn die Zahlen sprechen für sich.

O.k. vielleicht habe ich MÜK. Was mache ich dagegen?

Erstmal Gratulation zu dieser Erkenntnis. Jetzt heißt es nur noch Augen zu und eine Weile durchhalten, ab jetzt ist Besserung in Sicht.

MÜK wird man nur los durch eine Medikamenten-Pause. Je nachdem wie oft ihr Medikamente eingenommen habt, ist diese Pause unterschiedlich unangenehm und verschieden lang. Es wird empfohlen, diese Medikamenten-Pause stationär in einer Schmerzklinik zu machen. Ich würde hierfür keine andere Klinik empfehlen als die Schmerzklinik in Kiel. Wenn es so heftig zu befürchten ist, dass ihr dafür in eine Klinik gehen wollt, kann euch da am besten geholfen werden. Es gibt Einiges, was unternommen werden kann, um euch in dieser Zeit zu unterstützen.

Man kann auch die Empfehlungen von Kiel von der Website herunterladen und damit zu einer Klinik eigener Wahl gehen, das müsst ihr vorher absprechen. Aufpassen würde ich nur, wenn euch die Ärzte zu schnell wieder zu Schmerz-Medikamenten raten, um euch wieder fit zu bekommen. Alles unter mindestens zehn – vierzehn Tagen ohne Schmerzmittel käme mir unseriös vor. Das hat mir mal eine Leidensgenossin über eine recht bekannten Schmerzklinik in Süddeutschland erzählt: da wurde zu Beginn eine kurze Medikamenten-Pause angesetzt, doch dann sollte sie nach einer Woche wieder Schmerzmittel nehmen, weil sie sonst für das Anschluss-Programm nicht fit genug gewesen wäre. Aus der Klinik ist sie dann im schlechteren Zustand rausgegangen, als sie sich bei der Ankunft befunden hatte.

Dadurch, dass ich so schnell in den MÜK komme, ist bei mir schnell mal eine solche Pause nötig. Ich mache das mittlerweile zu Hause in Absprache mit meiner Hausärztin. Manchmal verschreibt sie mir Cortison als Hilfestellung, das kannte ich noch aus meiner Zeit in Kiel. Es darf genommen werden, weil es kein Schmerzmittel, sondern ein entzündungshemmendes Mittel ist. Migräne ist eine Entzündung der Blutgefäße im Gehirn, also kann das Cortison meist ganz gut die Migräne für ein paar Tage abwenden. Natürlich ist auch Cortison kein Medikament, das man mal eben so einwirft. Deswegen versuche ich es meistens ohne zu schaffen. Wenn man es aber unbedingt braucht, kann es ein Segen sein. Man bekommt es in diesem Fall als kurze Stoßtherapie. Die empfohlene Dosierung findet ihr auf der Website der Klinik in Kiel.

Das heißt jetzt aber nicht, das ich das „zu Hause entziehen“ unbedingt empfehlen möchte. Wenn ihr nahezu jeden Tag Schmerzmittel genommen habt, würde ich euch sogar dringend davon abraten.
Ich mache das so, weil bei mir die MÜK Symptome schnell auftreten, aber meist nicht mehr so stark sind. Deswegen fällt bei mir auch die Medikamenten-Pause nicht so heftig aus. Meistens habe ich zwei maximal drei Tage an denen ich nicht einsatzfähig bin und relativ fiese Kopfschmerzen habe, aber danach wird es recht schnell besser. Ausserdem kann ich mir zu Hause alles gut so einrichten, wie ich das brauche. Den Zeitpunkt (muss ja vielleicht nicht gerade direkt vor meiner Periode sein) lege ich so, wie es für mich am besten passt. Das Kind wird in der Zeit komplett zu den Großeltern „abgeschoben“ und ich bin natürlich in der Zeit krankgeschrieben oder habe Urlaub. Dann kann ich mich mit jeder Menge Euminz, Kühlpacks für den Kopf, literweise Wassertrinken und salzigem Knabberkrams irgendwie durchhangeln. Wenn es gar nicht mehr geht, nehme ich ein Antiemetikum (Mittel gegen Übelkeit). Die wirken schmerzdistanzierend und machen schön müde.

Ich erwähne das eher, um euch die Angst vor einer Medikamenten-Pause zu nehmen. Es kann sein, dass das ein paar ganz fürchterliche Tage werden – leider ist das sogar sehr wahrscheinlich. Aber erstens ist der Zeitraum ist überschaubar, besonders wenn man bedenkt seit wie vielen Tagen ihr bis dahin schon gelitten und es auch irgendwie ausgehalten habt. Und zweitens gibt es viele Möglichkeiten, die in der Zeit auftretenden Beschwerden zu lindern. Ihr werdet es schaffen…

…und wenn ihr durchgehalten habt, wird es euch auf jeden Fall viel besser gehen. Ich gebe euch die Hand drauf.

Wenn möglich, fangt sobald es geht mit Spazieren gehen oder sogar leichtem Ausdauer-Sport an. So seid ihr schneller wieder fitter und könnt euch darum kümmern, in Zukunft möglichst selten Tabletten zu brauchen.